Psychotherapie

Mag. Vedran Kurtović

Klinischer und Gesundheitspsychologe
Psychotherapeut

Die von Jeffrey Young und seinen Mitarbeitern entwickelte Schematherapie ist Vertreterin eines modernen, integrativen und evidenzbasierten Psychotherapieansatzes. Sie entstammt der Kognitiven Verhaltenstherapie, die aber um emotionsfokussierte Elemente sowie eine bestimmte therapeutische, bedürfnisorientierte Beziehungsgestaltung erweitert wurde.

Als ein sogenanntes transdiagnostisches Verfahren zielt Schematherapie darauf ab schwer behandelbare und komplexe Zustandsbilder mit Ursprüngen in Kindheit und Jugend zu behandeln. Dabei wird versucht, die aktuellen Schwierigkeiten des Patienten vor dem Hintergrund seiner biographischen Lerngeschichte zu verstehen. Aktuelle Studien belegen der Schematherapie ein breites Wirksamkeitsspektrum, sie wird insbesondere zur Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörung (Farrell, Shaw and Webber, 2009Giesen-Bloo et al., 2006Nadort et al., 2009), Narzisstischer Persönlichkeitsstörung und Cluster C-Persönlichkeitsstörungen (Bamelis et al., 2014) eingesetzt. Zusätzlich gibt es vorläufige Wirksamkeitsnachweise bei der Therapie von forensischen Patienten (Bernstein et al., 2012), chronischen Depressionen (Carter et al., 2013Renner et al., 2016), chronischen und komplexen Angststörungen (Hawke & Provencher, 2011) sowie Substanzgebrauchsstörungen bzw. Suchterkrankungen (Kersten, 2012Straver, 2017).

Das Modell der Schematherapie orientiert sich stark an dem Modell der Bindungsforschung (Bowlby, 1976). Demzufolge haben Kinder Grundbedürfnisse, die im Kern das Bedürfnis nach wohlwollenden Bindungen einerseits und den Aufbau von Selbstbehauptungsfähigkeit und Kontrolle andererseits umfassen. Aus dem Zusammenspiel unseres Temperaments, dem quasi vorprogrammierten neurobiologischen Aspekt unseres Daseins, und der häufigen Verletzung oder Nicht-Erfüllung von diesen Grundbedürfnissen in der frühen Kindheit und Jugend entwickeln sich sogenannte Schemata. Sie werden als Komplexe aus dysfunktionalen Glaubenssätzen und fest damit zusammenhängenden Gefühlen, Wahrnehmungen und Erinnerungen in der neuronalen Matrix des Gehirns angelegt.  

Angelegte Schemata können im Erwachsenenalter durch bestimmte, den ursprünglichen Kindheitssituationen ähnelnde Schlüsselreize aktiviert bzw. „angetriggert“ werden (z. B. durch Beschämung, Zurücksetzung und Verlassen-Werden). Man kann es sich wie eine Art „Computerprogramm” vorstellen, das in manchen Situationen durch auslösende Reize anspringt, hochgefahren und (für uns meist unbewusst) bedingt, dass wir die Situation in einer bestimmten Weise wahrnehmen und interpretieren, uns in einer bestimmten Weise fühlen und verhalten. Auch bedingt dieses Programm, wie wir zu anderen Menschen in Beziehung treten. Wir gehen also nicht unbefangen in Situationen hinein, sondern strukturieren sie mit unseren Schemata, die wie ein „Autopilot“ wirken und uns ohne unser Zutun fertige Lösungen aus der Vergangenheit zur Verfügung stellen. Durch sie reagieren wir in belastenden Situationen der Gegenwart genauso wie damals, aus einem “kindlichen” Erlebnismuster heraus. Wir sehen die Welt für eine sehr kurze Zeit wieder mit Kinderaugen, Emotionen aus der Vergangenheit brechen in die Gegenwart hinein. Wir kommen in einen oder mehrere komplexe Aktivierungszustände hinein der in der Schematherapie Modus bzw. Modi genannt werden. Aus schematherapeutischer Sicht stellen bestimmte Modi psychologische Risikofaktoren für dysfunktionales Verhalten dar. Diese Modi können also als dysfunktionale Emotionsbewältigungsstrategien betrachtet werden, welche durch die Frustration berechtigter emotionaler Grundbedürfnisse in der Kindheit entstanden sind und sich durch Habituationsprozesse zu rigiden intrapsychischen Mustern entwickelt haben.

In Belastungssituationen versuchen viele Patient_innen diese durch die Strategien zu bewältigen, die sie in scheinbar ähnlichen Situationen in der Kindheit „erlernt“ haben (sog. Bewältigungsmodi). Die psychische Flexibilität ist in diesen Momenten deutlich eingeschränkt, und die Patienten haben keinen Zugriff auf die Möglichkeiten bzw. Ressourcen, die sie inzwischen als Erwachsene entwickelt bzw. erworben haben. Dadurch wirkt das Bewältigungs- oder Problemlöseverhalten maladaptiv und ist für viele Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich verantwortlich. Sie sitzen mit einem ‚Tunnelblick‘ bzw. ‚Scheuklappen‘ in einer Lebensfalle fest (Young et al. 2005).

Ziel der Therapie ist, die Schemata und die typischen Auslösesituationen (oft zwischenmenschliche Konfliktsituationen) kennenzulernen, die aktuellen Modusaktivierungen auf die mutmaßlichen biographischen Entstehungssituationen zu beziehen, sich emotional zu distanzieren und eine wohlwollende, neue Perspektive des sog. gesunden Erwachsenenmodus einzunehmen. Schritt für Schritt wird den Patient_innen beigebracht die beschriebenen Strukturen zu erkennen und den gesunden Anteil systematisch zu stärken. Unterstützt durch die spezifische therapeutische Beziehung erlernt man durch erlebnisorientierte Methoden (Imaginationsübungen, Stuhldialoge etc.) Techniken zur Unterbrechung von schädlichen Verhaltensmustern. Unsere Schemata können nicht “überschrieben” werden. Sie bleiben im Hintergrund erhalten, “schlummern” und können immer wieder zu “Rückfällen” führen wenn die bewusste Handlungskontrolle des gesunden Erwachsenen nachlässt. Durch das systematische, achtsame Üben neuer, alternativer Verhaltensweisen werden diese aber immer besser gebahnt und laufen zunehmend automatischer ab.

Die Therapeuten übernehmen dabei eine Rolle, die der von guten Eltern ähnelt. Die therapeutische Beziehungsgestaltung im Rahmen der Schematherapie wird daher oft als begrenzte elterliche Fürsorge oder Nachbeelterung (sogenanntes Reparenting) bezeichnet.

Mehr über die Schematherapie, Schemata und Modi finden Sie auch in meinen Blogeinträgen hier und hier.